Ein paar Minuten darauf klingelte es an der Tür. Andreas rief laut, dass er sich darum kümmerte. Dann kam er in Jamilas Zimmer und bat Lisa, mitzukommen. Er hatte bereits den Tisch mit roten Kerzen gedeckt, eine Flasche Rotwein und Pizza bereitgestellt.

                "Wir haben hier Quattro formaggi und Frutti di mare. Es geht mir ab, mit dir gemeinsam etwas zu unternehmen ", sagte er. "Das hier ist eine kleine Aufmerksamkeit von mir. Für die schönste Frau der Welt."

                Lisa wusste, dass sie es nicht war, aber sie gab sich... gerührt, wirklich gerührt. Und diesmal waren die Kerzen nobler als damals an ihrem Geburtstag, weil es ihre eigenen Kerzen waren, die sie für schöne Anlässe aufgehoben hatte. Aber schön war es, einmal durch den Freund an sie erinnert zu werden. Es roch lecker nach Pizza, so würzig, viel Zwiebel und Knoblauch. Ob Jamila davon etwas wollte? Sie schnitt ein Drittel von ihrer Pizza ab und legte es auf einen anderen Teller. "Ich bring das zu Jamila und komme gleich", sagte sie.

                "Lisa", rief Andreas. "Bitte setze dich. Ich mache es für dich. Oder auch für Jamila eigentlich. Sie wird sich freuen, wenn ich einmal etwas für sie mache."

                "Stimmt."

                Andreas brachte das Pizzastück zu ihr und kam zurück. Er legte eine romantische CD in den CD-Player: Celine Dion. Die Musik zu dem Film Titanic.

                "Schade, dass die CD nicht mehr aktuell ist", sagte Andreas. "Ich mag sie unheimlich. Das ist genau meine Geschmacksrichtung, wenn es um Romantik geht."

                "Meine auch", log Lisa. Inzwischen war diese Schnulze zur Geschmacksrichtung von Millionen von Menschen geworden. So ähnlich war es auch mit der Pizza auf ihrem Teller. Sie wurde täglich an tausende von Menschen in Wien ausgeliefert. Und was war speziell an dem Abend? Der Wein? Valpolicella Classico, der beste von den billigsten, um acht Euro im Supermarkt. Gut, der Wein war - egal welche Sorte - immer eine spezielle Angelegenheit für Lisa. Auch die roten Kerzen, ihre Kerzen, waren speziell, sie kosteten vier Euro pro Stück. Und der Kerl war von der allerspeziellsten Sorte. Was wollte sie mehr? Sie dachte an den Nachmittag, den sie mit Feride verbracht hatte und freute sich darüber. Es war wichtig, Ferides Freundschaft zu gewinnen, das tat Lisa gut. Sie lachte. Andreas deutete dieses Lachen als ein Kundtun heiterer Stimmung und lachte mit.

                Ob das Essen gut war, wollte Andreas wissen. Ja, wunderbar. Und der Wein? Hmm, ausgezeichnet. Lisa war selbstverständlich für einen leichten Dinner-Talk zu haben, schließlich musste sie seine Bemühungen in irgendeiner Weise begleichen. Wie war es? Ja, heute hatte es richtig geschüttet, so ein kalter Regen im März, besonders scheußlich. Die Kerzen? Aber nein, wozu hob man sowas auf, natürlich für solche Anlässe. Und das hätte sie noch sagen können: Andreas, halte die Klappe und iss deine verdammte Pizza auf, damit wir es hinter uns bringen.

                Nach dem Essen wollten sich die Verliebten ins Schlafzimmer begeben. Lisa musste vorher die Zähne putzen, um den Knoblauchgeruch in ihrem Mund zu beseitigen und schaute bei dieser Gelegenheit kurz in Jamilas Zimmer hinein.

                In Panik stieß sie einen Schrei aus.

                Jamila saß auf dem Boden und hielt in ihrer Hand die Postkarte von Moussa, die zur Hälfte abgebrannt war. Wie versteinert hielt sie ihre beiden Hände ganz fest, so als ob sie mit beiden Händen eine ganze Postkarte halten würde.

                Aus dem Teppich kam Rauch. Lisa stieg sofort darauf und trampelte mit ihren nackten Füßen so lange auf dem Teppich, bis kein Rauch mehr kam. "Ich hätte dich nicht weggeben sollen", schrie sie. "Ist das jetzt deine Rache?"

                "Was ist hier los, warum schreist du?", fragte Andreas aufgeregt. Er bemerkte den Rauch im Zimmer. "Dieses Dings da ist verrückt", schrie er. "Sie wird uns alle umbringen!" Er verschwand im Schlafzimmer.

                Andreas Schreien brachte Lisa zu sich. Sie umarmte Jamila und küsste sie auf ihre Stirn, wie Feride es getan hatte. Kurz darauf kam Andreas zurück. Er hatte inzwischen seine Lederjacke und seine Motorradstiefel angezogen. "Mich kannst du abschreiben, Lisa. Es ist vorbei, das ist mir definitiv zu heavy", sagte er. "Und ich kann nicht garantieren, dass ich dieses geistesgestörte Wesen wegen Brandstiftung nicht anzeige. Solche wie die brauchen wir hier nicht." Er verließ die Wohnung, die zugeschlagene Tür hallte in den Ohren.

                Dann war es still in der Wohnung.

                Um es nochmals deutlich wahrzunehmen: Andreas hatte die Wohnung verlassen, weg war er. Diesmal für alle Ewigkeiten. Lisa hörte seine Stimme nochmals: Mich kannst du abschreiben, Lisa. Es ist vorbei. Ja! Tatsächlich! Sie lachte laut. Sie schrieb ihn ab.

                Die Musik zu dem Film Titanic hatte Glück gebracht, das Schiff war gesunken. Zu unglaublich schön, um wahr zu sein.